Von der kommunalpolitischen Ebene bis zur Bundesebene wird auf diesem brisanten Felde der Gesundheitspolitik zu wenig getan: Hier wird ein Beispiel dokumentiert, das zeigt, wie Initiativen in der Kommunalpolitik sich festfahren. Die Landes- und Bundesebene muss übernehmen.
In seiner Sitzung am 7.9.2009 hat sich der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Senioren der Bezirksversammlung Harburg aufgrund des SPD-Antrags XVIII /00421 mit dem Thema Qualitätsmanagement in Harburger Krankenhäusern und speziell mit Fragen der Krankenhaushygiene befasst. Dem Ausschuss lag in dieser Sitzung als Tischvorlage der „Bericht zur Behördlichen Überwachung der Hygiene in Krankenhäusern“ für 2008 des Bezirkes Harburg vor. Der Ausschuss hat lediglich um weitere Berichterstattung in regelmäßigen Abständen gebeten. Der Antrag wird für erledigt erklärt.
In der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses vom 12.10.2009 findet sich unter Top 10 Genehmigung der Niederschrift eine Ergänzung zum Protokoll der Sitzung vom 7.9.2009 mit folgendem Wortlaut:
„Frau Koschnick-Pumm informiert, dass in den Niederlanden grundsätzlich von jedem Patienten ein Abstrich zur Feststellung von Keimen genommen werde. Diese prophylaktische Untersuchung gäbe es in Deutschland nicht. Im Ergebnis hätte man in den Niederlanden viel weniger MRSA-Fälle und Noroviren zu verzeichnen. Frau Dr. Kirchhoff führt aus, dass die Situation in den Niederlanden bekannt sei. Eine Umsetzung in Deutschland sei aber wahrscheinlich nicht möglich, weil das Screening jedes einzelnen Patienten entsprechende Isolierungsmaßnahmen voraussetze.
Jedoch könne durch konsequentes Screening von Risikopatienten die MRSA-Rate hier erfolgreich gesenkt werden.“
Der Ausschuss hat aufgrund der Protokoll-Notiz die Sache nicht noch einmal aufgenommen.
Es handelt sich zwar um eine Angelegenheit, für die die Bezirksämter eine Zuständigkeit haben, zentrale Regelungen auf Landes- oder Bundesebene erscheinen jedoch notwendig und eher erfolgversprechend.
Der „Bericht zur behördlichen Überwachung der Hygiene in Krankenhäusern“ 2008 des Bezirkes Harburg ist aufschlussreich:
1.Die personellen Kapazitäten des Bezirksamts reichen für eine ernstzunehmende Kontrolle der Krankenhaushygiene in den Harburger Krankenhäusern nicht aus. Dies dürfte für alle anderen Bezirke auch gelten.
0,1 Facharzt für Hygiene des Insituts für Hygiene und Umwelt, o,2 Stelle Ärztin, o,6 Stelle Hygieneschwester, 0,2 Stelle Gesundheitsingenieur(nicht besetzt), je 0,1 Stelle Lebensmittelkontrolleur und Gesundheitsaufseher.
2. Der Bericht geht von einer ordnungsgemäßen Dokumentation der Nosokomialen Infektionen nach §23 Abs.1HSG aus. Die vorhandenen Daten in den großen Kliniken seien valide und seien qualifiziert aufbereitet worden. Das gehäufte Auftreten nosokomialer Infektionen im Krankenhaus ist erfasst worden(§6Abs.3IfSG i.V.m. §8 Abs.1, 3 und 5, §10 Abs.1Satz3, Abs.3 und 4 Satz 3IfSG).
Entgegen dem Bericht ist die Dokumentation, für die es keine verbindlichen Vorgaben gibt, und die Zahl der aufgeführten Infektionen unglaubwürdig , insbesondere bei MRSA. Die Standards der Dokumentation werden nicht genannt.
Todesfälle wurden nicht dokumentiert.
Es ist nach dem Umgang der niedergelassenen Ärzte mit dem Thema Krankenhauskeime, einer Art Kultur des Schweigens, und Äußerungen von Ärzten im Hamburger Umland eher von erheblich höheren Zahlen auszugehen. Ein Arzt : In Harburger Kliniken stürben die Patienten nach dem was man höre wie die Fliegen an Krankenhauskeimen, so die drastischte Äußerung. Es gibt mit wenigen Ausnahmen keine Offenheit im Umgang mit diesem Problem. Die Kliniken scheinen bei der jetzigen Lage ihre Interessen eher gewahrt zu sehen, wenn möglichst wenige Fälle dokumentiert werden. Das Interesse der Patienten an notwendigen grundlegenden Veränderungen in der Krankenhaushygiene hat leider keine Priorität.
Nach relativ gesicherten Annahmen müssen Kliniken in Deutschland geradezu als Brutstätten für Krankenhauskeime betrachtet werden. Inzwischen dürften aber auch große Teile der Bevölkerung als Träger von MRSA anzusehen sein. Schätzungen gehen von bis zu 25 Prozent aus.
Die Hygienemaßnahmen der meisten deutschen Krankenhäuser reichen nicht aus. Dabei fehlt es nicht an Empfehlungen wie denen des Robert-Koch-Instituts(RKI).
In Holland werden grundsätzlich alle Patienten aus Deutschland einem Eingangsscreening unterzogen.
Das in Deutschland teilweise praktizierte Screening von sogenannten Risikopatienten scheint nicht auszureichen.
Ohne Zweifel wäre es gut, wenn die Mediziner und das übrige Krankenhauspersonal von sich aus die nötigen Maßnahmen ergreifen würden, wie sie in Holland und in der Grenzregion Münster/Twente bereits praktiziert werden. Die Krankenhäuser hatten jetzt bereits mindestens 10 Jahre Zeit, von sich aus Lösungen zu finden. In einem auf materieller Interessiertheit beruhenden Gesundheitssystem wie in Deutschland scheint es ohne klare gesetzliche und Verordnungsmäßige Vorgaben nicht zu gehen, da die Dokumentation von MRSA-Fällen z.B. auch Rechtsfolgen für die Krankenhäuser haben würde.
Wir brauchen nach meiner Meinung mindestens folgende Maßnahmen:
MRSA und nosokomiale Infektionen müssen anzeige- und meldepflichtig werden. MRSA ist auf Totenscheinen zu vermerken. Es muss aufklärungspflichtig werden.
Die Dokumentation soll überall nach gleichen Standards erfolgen(EPI-MRSA-Software)Verstöße gegen die Dokumentationspflichten sind entsprechend konsequent zu ahnden.
Ein Eingangsscreening für alle Patienten ist verbindlich festzulegen. Natürlich ist dies mit Kosten verbunden, die aber durch die Verringerung der Anzahl von MRSA-Patienten leicht wieder ausgeglichen würden.
Jedes Krankenhaus über 400 Betten braucht einen Facharzt für Hygiene. Sie sind vermehrt auszubilden.
Die Hygiene-Fortbildung in Krankenhäusern muss fortgesetzt werden. Viele wirksame Empfehlungen warten noch auf Umsetzung. Ein drastischer Mentalitätswechsel ist in einigen Bereichen anzuzielen.
Es müssen wirksame Maßnahmen gegen die unsachgemäße Verordnung von Antibiotika ergriffen werden.
Ob verstärkte Kontrollmaßnahmen seitens der Gesundheitsbehörden oder Bezirksämter Erfolge bringen, müsste geklärt werden.
Eine verbindliche Hygieneverordnung auf Bundes-oder Landesebene ist erforderlich.
Die Zeit der unglaublichen Indolenz bei der Bekämpfung von Krankenhauskeimen muss endlich beendet werden.
Zum Schluss ein klares Wort in Richtung der Gesundheitsbehörde und der Bürgerschaftsabgeordneten im Gesundheitsausschuss, insbesondere wenn sie vom Beruf Arzt sind:
Wer bei der beschriebenen Lage seit Jahren nichts Entscheidendes unternommen hat, um die Lage in Hamburg zu ändern, insbesondere wenn er dem Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft angehören sollte, hat sich als Politiker politisch-moralisch eigentlich disqualifiziert.
Wie die fehlende Reaktion auf die Intervention der Abgeordneten Birgid Koschnick-Pumm gegen das entsprechende Protokoll des Sozial- und Gesundheitsausschusses der Bezirksversammlung Harburg zeigt, gab es beim Vorsitzenden Heinz Beeken und den übrigen Abgeordneten leider keine hinreichende Sensibilität für dieses Problem. Oder fehlte einfach der Mut und der Informationsstand, dieses heiße Eisen wirklich anzupacken?
Klar muss sein, dass die nötigen Maßnahmen nicht zu Lasten des Krankenhauspersonals gehen dürfen.
(Zuerst erschienen auf meinem Webblog "Klartext" am 5.12.2010)